toskana

Bergdörfer in der Toskana

Naturverbunden Leben

Zu Besuch in einer Ökodorf-Gemeinschaft in Italien, in abgelegenen und teils verlassenen Bergdörfern im Apennin von Pistoia.

Mit zwei Freunden bin ich auf Italienreise - wir haben die Renaissance Städte Siena und Florenz besucht und sind nun auf dem Weg Richtung Norden. Genauer, bei Pistoia im Norden der Toskana. Die letzte Nacht haben wir auf einem Parkplatz in der Nähe von San Pellegrino verbracht. Wir leben, reisen und übernachten in einem umgebauten T5, mit ausreichend Stauraum und Schlafmöglichkeiten, sehr gemütlich.

Heute wollen wir die Dörfer und Gemeinschaften Il Popolo Elfico della Valle dei Burroni besuchen. So sind sie im Eurotopia-Buch betitelt, einem Verzeichnis sämtlicher Gemeinschaften und Ökodörfer in ganz Europa - und die Beschreibung hat uns ganz neugierig gemacht: "Wir sind eine Grupe von ca. 200 Menschen, die in Häusern und verlassenen Dörfchen wohnen, welche über den Apennin von Pistoia in einer Höhe zwischen 800 und 1000 Metern verstreut liegen."

Wir durchqueren San Pellegrino, einen kleinen Ort, dessen Häuser noch irgendwie zwischen Bach und Straße ihren Platz in dem engen Tal gefunden haben. Doch wir wissen gar nicht genau wonach wir überhaupt Ausschau halten sollen. Hier und da zweigen kleine Waldwanderwege von der Straße ab, vielleicht führen diese zu den abgelegenen Bergdörfern? An einem kleinen Parkplatz am Ortsausgang halten wir an, um noch einmal einen Blick auf die Karte zu werfen und vielleicht eines dieser italienischen Großmütterchen zu fragen, die wir hier in den ländlichen Regionen in nahezu jedem Vorgarten entdecken. Aber was ist das? Auf dem Parkplatz steht noch ein Wagen, ein Twingo, der aussieht als hätte er eine Crosstour durch den Schlamm der Wälder hinter sich, mit einem italienischen Rastaman am Steuer. Wir ahnen schon, dass wir ganz nah am Ziel sind. Und tatsächlich wohnt er in einem der Berggdörfer nach denen wir suchen. Doch für eine exakte Wegbeschreibung (und die scheint wirklich notwendig) ist sein Englisch wohl nicht ausgelegt. Doch hilfsbereit erklärt er sich bereit, bis zur entscheidenden Abzweigung vor uns herzufahren. Er ist so eine Art Bergdorf-Normade, zieht von einem Dorf zum nächsten, lebt mal diesseits des Tales und mal jenseits der Berge.

Von hier aus haben wir nun jedenfalls viele Möglichkeiten, es scheint fast gleichgültig in welche Richtung wir gehen oder welchem Weg wir folgen, irgendwann werden wir auf eines der verstreuten Dörfer treffen. Als wir uns gerade entschlossen haben den 40-minütigen Marsch nach "Piccolo Pirone" anzutreten, wo überwiegend junge Menschen leben sollen, treffen wir Philipo und Maria mit ihrem 4 jährigen Sohn – sie haben das gleiche Ziel. Wir reihen uns in die Karawane ein und folgen dem Pfad, der sich in Serpentinen immer weiter den steilen Berghang hinauf schlängelt. Im Boden blitzen winzige Quarzkristalle in der Frühjahrssonne und am Wegrand blühen bereits Dutzende von Schlüsselblumen. Es duftet nach Frühling und irgendwo aus der Ferne ruft ein tagaktiver Waldkauz – der Wald hat uns geschluckt. Stadt und Straße haben wir hinter uns gelassen, nur hin und wieder ertönt aus der Ferne ein verzogenes Hupen, mit dem die italienischen Lastzugfahrer vor jeder Kurve ihre Vorfahrt und Überlegenheit ankündigen – ansonsten tiefe lebendige Stille. Wirklich schwer zu glauben, dass hier in aller Verlassenheit eine menschliche Siedlung unser Ziel sein soll. Und mit jedem Schritt steigt meine Neugier.

Weiter oben passieren wir einige Ruinen und Steinhaufen, die vom Leben längst vergangener Zeiten erzählen. Hart muss das Leben hier oben in den Bergen gewesen sein. Im letzten Jahrhundert haben sich dann auch die letzten Verbliebenen in die Städte zurückgezogen, erzählt uns Maria. Viele ehemalige Siedlungen und die Grundrisse alter Steinhäuser findet man breit verstreut bei einem Streifzug durch die umliegenden Wälder. Aber die Menschen von damals, trotz harter Arbeit und noch so kalter Winter, führten mit Sicherheit kein bedauernswertes Leben - das Naturerlebnis ist hier fantastisch. Aber rau und verlassen zugleich – gerade jetzt im Frühlingsbeginn, denn noch sind die Bäume der bewaldeten Berhänge kahl und trostlos, ihr grünes Frühlingsgewand werden sie erst in den nächsten Wochen anlegen.

Ganz unerwartet erscheint zu unserer linken plötzlich ein restauriertes Steinhaus. Geflochtene Holzzäune und Steinmauern, Hühnerstall und Gemüsebeete. Die Stimmung des Waldes und die liebevolle Gestaltung des Geländes lassen mich fühlen wie in einem Märchen, die im Wind taumelnden Traumfänger und weitere Kultobjekte nähren diese Atmosphäre. "In jenem Häuschen lebte einst die geheimnisvolle Waldhexe Maria", werden die Menschen in vielen Jahren vielleicht ihren Enkeln über das Leben hier in der Natur erzählen. Mit Tee und Kuchen werden wir von der gastfreundlichen Waldhexe willkommen geheißen.

Einsames Steinhaus mitten im Wald; hier wohnt Maria mit ihren Kindern

Sie wohnt hier zusammen mit ihren beiden Söhnen, mehrmals die Woche legen sie den Weg ins Tal zurück. Die Kinder besuchen im Nachbarstädtchen einen Kinderarten. Maria spielt dann auf ihrer Holzflöte und erzählt den Stadtmenschen in musikalischen Klängen vom Leben da draußen in der Natur.

Sie spricht sehr gut Deutsch und erzählt uns über das Leben hier in den Bergen. Strom gibt es nicht, und Handynetz wahrscheinlich auch nicht - die Zeit scheint hier stehengeblieben. Aber vermissen tut das hier niemand, mich einmal ausgenommen, denn ärgerlicherweise sind meine Kamera-Akkus leer. Philipo hatte zuvor mehrere Jahre in Venedig gelebt, eine schöne Stadt, gibt er zu. Aber das Leben hier in den Bergen mache ihn glücklicher. Die Stadt erlebt er wie ein Gefängnis, das isolierte Zusammenleben, ständige Reizüberflutung und Konsumdruck schrecken ihn ab. Seit zwei Jahren lebt er nun hier in den Berdörfern und erweckt in mir den Eindruck eines glücklichen Menschen, der gefunden hat wonach er suchte. Mit ihm zusammen geht es nach ausgiebiger Stärkung weiter Richtung "Piccolo Pirone".

Rauchwolken kündigen uns schließlich menschliches Leben an. Unterhalb einiger Steinhäuser arbeiten Menschen im Garten und verbrennen die Zweige frisch beschnittener Oliven. Am Hang oberhalb grasen ein paar Dutzend Ziegen. Und Philipos Hund ärgert mit viel Schadenfreude die frei umherlaufenden Hühner, die gackernd beiseite springen. Genau so stell ich mir mittelalterliches Dorfleben vor, nur eine Solarplatte ein wenig abseits zeugt vom 21. Jahrhundert.

Steinhaus, lila TürWir sind sehr erstaunt, dass sich hier so viele junge Menschen zusammengefunden haben, sind es doch sonst überwiegend die Ältesten, die noch auf dem Land leben. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, die jüngeren Generationen verlassen die Stadt kaum noch und finden sich in der Natur gar nicht mehr zurecht. Hier läuft das jedenfalls anders, über zehn Bewohner sind anwesend, weitere sind noch unterwegs oder Leben hier nur phasenweise. Und die meisten sind gerade mal zwanzig bis dreißig Jahre jung. Ähnlich wie auch Phillipo sind sie aus der Stadt entflohen, fühlten sich dort nicht mehr wohl und entfremdet.

Sie haben sich für ein neues Leben entschieden. Und das haben sie sich hier selbst aufgebaut. In dieser alternativen Lebensgemeinschaft meistern sie gemeinsam ihren Alltag und leben nun als unabhängige Selbstversorger in den Bergen.

Mich haben diese jungen Zeitgenossen sehr inspiriert. Sie leben ihre Ideale, sind mündige und eigenständige Menschen, die wissen was sie vom Leben wollen. Sie leben das, was sicherlich viele Menschen in unserer Gesellschaft vermissen, vielleicht ohne es zu wissen. Sich nicht über die eigenen Bedürfnisse hinweg anzupassen und einem System zu unterwerfen - sondern ihren eigenen, innersten Antrieben zu folgen.

Jan Temmel

Jan Temmel

Mediengestalter, Fotoartist & Blogger

Aufgewachsen in einem System, in dem Wir Menschen mit schockierender Rücksichtslosigkeit die Ausbeutung von Mutter Erde forcieren.
Aufgewacht in einer Welt, die ist, zu was Wir sie machen. Deshalb suche ich neue Wege! Und deshalb schreibe ich diesen Blog!

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